Germanen und Römisches Reich

Germanen und Römisches Reich
Germanen und Römisches Reich
 
Schon 113 v. Chr. waren die wohl durch eine Sturmflut aus ihrer Heimat Jütland vertriebenen Kimbern, Teutonen und andere Gruppen in das Gebiet des Römischen Reiches eingedrungen, das damals bis in die südlichen Alpen reichte, und hatten mehrfach römische Heere besiegt, waren aber 102 bei Aquae Sextiae (Aix-en-Provence) und 101 bei Vercellae (Vercelli) von Gajus Marius vernichtend geschlagen worden. Um 71 v. Chr. überschritt der swebische Heerkönig Ariovist mit zahlreichen Gefolgsleuten aus verschiedenen Stämmen den Oberrhein; sie siedelten sich westlich des Oberrheins an, bis Caesar sie nach seinem Sieg über Ariovist bei Mülhausen im Elsass (58 v. Chr.) wieder zurückdrängte. Bald gab es jedoch auch Bündnisse zwischen Rom und Germanenfürsten bzw. -stämmen. So ließen sich 38 v. Chr. die Ubier im Einvernehmen mit dem römischen Feldherrn Marcus Vipsanius Agrippa auf dem linken Rheinufer nieder; ihr Hauptort Oppidum Ubiorum entwickelte sich zum Zentrum der römischen Militär- und Zivilverwaltung in Germanien (50 n. Chr. Colonia Agrippinensis = Köln).
 
Den Plan, die Reichsgrenze bis zur Elbe vorzuschieben, gab Kaiser Augustus nach der Niederlage des Varus gegen den Cheruskerfürsten Arminius im Teutoburger Wald 9 n. Chr. auf. Im römischen, also im Wesentlichen linksrheinischen Germanien, das um 90 in die Provinzen Ober- und Niedergermanien mit den Hauptstädten Mogontiacum (Mainz) und Colonia Agrippinensis geteilt und durch den Limes gesichert wurde, entwickelte sich ein blühendes Städtewesen; römische Techniken wie die Ziegel-, Keramik- und Glasherstellung wurden übernommen, wobei die einheimischen Baumeister und Handwerker am römischen Vorbild orientierte, aber durchaus eigenständige Kulturformen schufen. Auch wurde ein weiträumiges Straßennetz ausgebaut; römische Landgüter mit großzügig angelegten Villen und neuen Anbaumethoden (z. B. Einführung des Weinbaus) veränderten das Landschaftsbild.
 
Auch auf das freie Germanien wirkte sich die Nachbarschaft zum Römischen Reich aus, nicht zuletzt dadurch, dass immer mehr Germanen ins römische Heer eintraten und so die militärische Schlagkraft und hoch entwickelte Verwaltungsorganisation des Reiches kennen lernten. Das war für Rom allerdings nicht unproblematisch, wie etwa das Beispiel des Batavers Civilis zeigt, der 69/70 als Kohortenpräfekt im niederrheinischen Heer die Thronwirren nach dem Tod Neros zur Bildung eines gallisch-germanischen Reiches zu nutzen versuchte und sogar römische Truppen zum Abfall bewog.
 
Trotz einiger kriegerischer Auseinandersetzungen blieben die Verhältnisse am Limes relativ stabil, bis nach 150 die Abwanderung der Goten von der Weichselmündung zum Schwarzen Meer erneut umfangreiche Bevölkerungsverschiebungen auslöste, die auch als erste Völkerwanderung bezeichnet werden. Dadurch wurde Rom u. a. zur Abwehr der über die Donau vorgedrungenen Markomannen (Markomannenkriege Mark Aurels 166-175 und 177-180), um 260 zur Zurückverlegung der von den Alemannen bedrohten obergermanischen Grenze an den Rhein und um 270 zur Aufgabe der von den Goten überrannten Provinz Dakien gezwungen. Die Kernländer des Römischen Reiches blieben jedoch bis zur (zweiten) Völkerwanderung ab 375 nahezu unangefochten.
 
Obwohl die Römer gegenüber den Germanen zunehmend in die Defensive gerieten, kann man ihr Verhältnis nicht als grundsätzlich feindlich bezeichnen. Viele im Römischen Reich lebende Germanen wurden romanisiert, ja in der Spätantike stiegen etliche in hohe Verwaltungs- und Kommandostellen auf. Die Ansiedlung germanischer Stämme auf Reichsgebiet war zwar in der Völkerwanderungszeit oft nur die nachträgliche Legitimierung vollzogener Tatsachen, aber die germanischen Bundesgenossen leisteten andererseits einen bedeutenden Beitrag zum Schutz der Reichsgrenzen.

Universal-Lexikon. 2012.

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